1. "Geschichte ist nicht zu ändern"

    KZ-Opfer Olga Nechai stellt Biografie vor / Herderschüler zeigen Betroffenheit

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    BÜCKEBURG (hb/m). Seit 2002 hat die Geschichtswerkstatt der Herderschule intensive Beziehungen zu Selbsthilfeorganisationen ehemaliger KZ-Opfer aus Weißrussland aufgebaut und kontinuierlich eine finanzielle Unterstützung an Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter geleistet. Bei einer bundesweiten Abschlussveranstaltung hat Realschullehrer Klaus Maiwald auch die Präsidentin der weißrussischen Selbsthilfeorganisation LJOS, Professorin Olga Nechai aus Minsk kennen gelernt.

    Zeitzeugin Olga Nechai (vorne li.) mit Dolmetscherin, Klaus Maiwald und den drei Vorleserinnen der Herderschule.

    Olga Nechai hat eine ergreifende Biografie über ihr Leben geschrieben. "Gedanken in Erinnerung an mein Leben" heißt das Buch, das im Verlag von Barbara Pietschmann, Oranienburg, kürzlich in deutscher Sprache erschienen ist. Nechai hat das 239 Seiten starke Buch bereits 2004 in Minsk herausgebracht, wo die 84-Jährige heute noch an der Uni unterrichtet.

    Auf Einladung der Geschichtswerkstatt hat Olga Nechai in der Pausenhalle den Schülerinnen und Schülern der zehnten Klassen, die mit verständlicher Betroffenheit reagierten, von ihrer Jugend, dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion, Gefängnisaufenthalt und Folter erzählt. Drei Schülerinnen haben aus dem Buch vorgelesen.

    Olga ist "in Armut und mit Angst vor der Kälte" aufgewachsen. Sie erkannte schnell, dass Bildung der Schlüssel war, um dem Teufelskreis der Armut entkommen zu können. Als Jugendliche sind Leichtathletik und Theater ihre Beschäftigungen. "Meine Theatereinnahmen helfen uns zuhause, von der ‚Kategorie Bettler‘ in die ‚Kategorie arme Menschen‘ zu wechseln. Olga lernt Stanislav kennen und lieben. Als sie 1941 18 Jahre alt ist, überfällt die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion und nimmt bald auch Minsk ein. Ungeachtet des Krieges bringt sie 1942 einen Sohn zur Welt.

    Wegen einer Verbindung zu den Partisanen landet die ganze Familie im Gefängnis. Der Sohn stirbt dort im Alter von anderthalb Jahren. "Das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann – ich konnte ihn nicht beschützen", sagt Nechai. Ihrem Mann Stanislav gelang die Flucht; er kam später als Partisan ums Leben. Im Gefängnis erlebte sie eine schlimme Zeit. "Jeden Morgen um 5 Uhr ist ein Deutscher gekommen und hat willkürlich mit dem Finger auf einzelne Häftlinge gezeigt", erinnert sie sich.

    Als ein Hitler-Soldat eines Morgens mit dem Knüppel in ihre Zelle kam, wähnte sie sich auf dem Weg in die Gaskammer und litt unter Todesangst.

    Ihr Leben verdankte die junge Frau wahrscheinlich dem Umstand, dass Nazi-Deutschland Arbeitssklaven für die Kriegswirtschaft brauchte. So wurde sie im Dezember 1943 in einen von deutschen Soldaten begleiteten Bahnwaggon verfrachtet und nach Deutschland verschleppt und musste in den Rüstungsbetrieben des KZ Oranienburg in Henningsdorf bei Berlin Zwangsarbeit verrichten. Nach der Befreiung aus Nazi-Deutschland begann in der zerstörten und völlig verarmten Heimat Olgas Kampf um ihre persönliche Entwicklung. Sie bekämpfte Hunger und Entbehrungen, entwickelte sich weiter und wurde schließlich eine bekannte Sprachwissenschaftlerin in Weißrussland.

    "Warum haben Sie an der Antifa-Bewegung teilgenommen?", werde sie in Schulen oft gefragt, berichtet Nechai. Man könne doch nicht gleichgültig bleiben, wenn das Land von einer fremden Armee besetzt wird und es viele Opfer gibt. "Man wollte uns die Heimat nehmen, wir waren Patrioten und wollten damals leben", antwortet Olga Nechai.

    "Geschichte ist nicht zu ändern, deshalb müssen wir aus den geschichtlichen Ereignissen aber unsere Lehren ziehen", forderte Christiane Marx. Ein Hauptanliegen von Olga Nechai sei es, so die Schulleiterin, die Erinnerung wachzuhalten, um die Verständigung zwischen den Generationen und Völkern voranzubringen.

    Foto: hb/m