1. "Wir haben den Ungarn sehr viel zu verdanken"

    Dr. Rudolf Seiters blickt auf 20 Jahre Deutsche Einheit zurück

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    BÜCKEBURG (hb/m). Mit großer Aufmerksamkeit haben etwa hundert Besucher im Le Theule Saal des Rathauses einen Vortrag von Dr. Rudolf Seiters verfolgt, der als langjähriger Bundestagsabgeordneter der CDU (1969-2002), Chef des Bundeskanzleramtes (1989-1991) und ehemaliger Innenminister (1991-1993) auf Einladung der Senioren Union der CDU zum Thema "20 Jahre Deutsche Einheit - Rückblick und Ausblick" gesprochen hat. Einleitend stellte Seiters fest, dass die Wiedervereinigung ein Grund zur Freude und Dankbarkeit und von Hunderttausenden Menschen gefeiert worden sei. Es gebe aber auch Stimmen, dass "alles zu schnell gegangen" sei und die sozialen Errungenschaften der DDR nicht richtig gewürdigt wurden.

    Als er im April 1989 Chef des Bundeskanzleramtes wurde, habe niemand gewusst, dass es anderthalb Jahre später zur Wiedervereinigung kommen würde. Das Thema sei nicht aktuell gewesen. Beim Honecker-Besuch im Juni 1989 habe es keine Hinweise auf Erschütterungen gegeben. Dann seien tausende in Budapest und Prag in die Vertretungen der BRD geflohen; es habe Reformen in Ungarn, Polen und durch Gorbatschow gegeben.

    "Wir haben den Ungarn sehr viel zu verdanken", stellte Seiters fest; denn es sei sehr mutig gewesen, alle Verträge mit dem Osten zu brechen, die Grenze zu Österreich zu öffnen und die Flüchtlinge aus der DDR in die BRD zu lassen. Ungarn habe zudem keine Gegenleistungen gefordert ("Ungarn verkauft keine Menschen"). Von Gorbatschow habe man erfahren, "dass die Russen nicht eingreifen würden".

    Drei Ereignisse haben laut Seiters 1989 dazu geführt, dass der Gedanke an die Wiedervereinigung näher kam. Am 30. September mit tausenden Flüchtlingen auf dem Balkon der Prager Botschaft seien "die ersten Steine aus der Mauer gebrochen" worden. Am 9. November habe Günter Schabowski ohne Vorliegen eines konkreten Beschlusses von der ab sofort geltenden Reisefreiheit gesprochen und die Menschen seien zur Grenze geströmt. "Wir wussten nicht, dass an diesem Tag die Mauer geöffnet wurde", erinnert sich Seiters. Am 19. Dezember habe Kanzler Kohl in Dresden an der Frauenkirche eine Rede gehalten. Von der gastgebenden Regierung habe sich niemand sehen lassen. "Die DDR hat die Bevölkerung mit Kohl allein gelassen", wundert sich Seiters noch heute. Von diesem Zeitpunkt an sei man überzeugt gewesen, dass es keinen Sinn macht, weitere Verabredungen zu treffen, sondern freie Wahlen herbeizuführen, die dann am 18. März 1990 stattfanden.

    "Gorbi hat uns geholfen, den Weg zur Wiedervereinigung zu finden", weist Seiters darauf hin, dass ohne Gorbatschow und Glasnost, aber auch ohne Solidarnosc die Wiedervereinigung nicht möglich gewesen wäre. "Wir hatten auch Glück", zitierte Seiters aus den Memoiren von Kohl. Foto: hb/m